Im Herzen des Sturms by Beatriz Williams

Im Herzen des Sturms by Beatriz Williams

Autor:Beatriz Williams [Williams, Beatriz]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783641126223
Google: tD5ZAgAAQBAJ
Barnesnoble:
Herausgeber: Putnam, New York 2013
veröffentlicht: 2014-06-16T22:00:00+00:00


13

MANHATTAN

SILVESTER 1931

Die Gebäude fliegen als grau-brauner Schleier an mir vorüber. »Wo fahren wir hin?«, frage ich, während ich mich tief in meinen Nerz hülle. Den zweitbesten Nerz meiner Mutter. Ich kann nur hoffen, dass sie ihn nicht erkannt hat, als wir uns hinausgestohlen haben.

»Mein Vater hat eine Zweitwohnung Downtown für seine Geschäftspartner und für Abende, an denen er lange arbeiten muss«, sagt Nick. »Wir können den Jahreswechsel dort feiern. Wenn wir es noch rechtzeitig schaffen …« Er wirft einen Blick auf die Uhr. »Geht es dir gut?«

»Ja. Bin nur ein wenig schockiert.«

»Das kann ich mir vorstellen.«

»Ich meine, sie geht eigentlich nie aus. Sie hat uns erzählt, sie müsse einen Wohltätigkeitsball betreuen. Für Waisenkinder!« Ich muss regelrecht schreien, um den Fahrtwind und das Heulen des Motors zu übertönen. Für einen Silvesterabend in der Stadt sind die Straßen erstaunlich leer gefegt. Anscheinend ist jeder auf irgendeiner Party oder bei sich zu Hause und erwartet den Jahreswechsel. »Aber, na ja … bei Papas Zustand will sie sich vielleicht auch ab und zu mal amüsieren und ihm nicht das Gefühl geben …« Meine Stimme verliert sich.

Nick greift nach meiner Hand und hält sie fest. Wir haben unsere Masken abgelegt, und im flackernden Licht der vorbeifliegenden Straßenlaternen erhasche ich flüchtige Blicke auf sein Gesicht: sanft und besorgt. »Willst du lieber umkehren? Ich kann dich nach Hause bringen. Ich dachte nur … na ja … es wäre eine Schande, den Abend einfach so zu verschwenden. Ist dir warm genug?«

»Alles bestens.« Ich sehe ihn an und lächele. »Eigentlich ist die Situation sogar witzig, oder? Ich meine, ich stehle mich heimlich von zu Hause weg und fühle mich furchtbar unanständig. Und dann stelle ich fest, dass meine Mutter genau dasselbe tut.«

»Skandalös.«

Ich betrachte unsere verschlungenen Hände auf der Sitzbank, vor dem Hintergrund der beiden Masken, schwarz und weiß. »Aber weißt du, was das Seltsamste ist? Ich fand sie wunderschön. Ich habe meine Mutter noch nie mit solchen Augen gesehen. Sie wirkt immer so gesetzt, so matronenhaft, mit ihren biederen Kostümen und Hüten. Ich habe irgendwie das Gefühl, sie heute zum ersten Mal wirklich gesehen zu haben, sie selbst. Und dabei war sie so bezaubernd, dass ich sie nicht mal erkannt habe.«

»Natürlich war sie bezaubernd. Sieh dich mal an!« Er lacht. »Wir werden einfach unsere eigene Party feiern. Nur wir beide!«

»Klingt gut.« Ich rutsche ein Stück näher heran und kuschele mich an ihn. Er legt seinen Arm um meine Schultern und nimmt ihn erst herunter, als wir erneut an einer Ampel halten müssen.

Die Wohnung liegt nicht mitten in Downtown. Stattdessen halten wir vor einem unscheinbaren Gebäude in Gramercy Park. Nick stellt den Wagen ab und hilft mir beim Aussteigen. Der gleichnamige Park liegt finster und bedrohlich hinter einem schmiedeeisernen Zaun auf der anderen Straßenseite. Mein Herz beginnt zu flattern wie die Flügel eines Schmetterlings. Mich von zu Hause wegzustehlen, um in der Nähe des Central Park auf einen Maskenball zu gehen, ist schon unanständig genug, aber das hier ist geradezu skandalös: Silvester mit einem Mann zu verbringen, der nicht mein Ehemann ist, noch dazu in einem Apartment in Gramercy Park.



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